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(Auszug aus dem Kapitel Wie ich endlich Clear werde: Ein Zustand, den ich keinem wünsche)
Wie ich die Sturmtruppen des Führers erlebte. Die Sea-Org-Missionaires
(Um den Impakt, den Miscavige' Sturmtruppen auf uns Staff der Münchner Org hatte, verständlich zu machen, muss ich kurz das Setting beschreiben.
Vorgeschichte: Nach langem Hin und Her wurde mir wieder gestattet, Auditing zu bekommen, nach dem ich extrem süchtig war. Inzwischen war ich schon 3 Jahre "auf Staff" - also Angestellter, mit 80-Stunden-Arbeitswochen, mit wöchentlich ausgezahlten Hungerlöhnen etc., andauernd der Auditing-Karotte hinterher hechelnd, moralisch gebunden durch behaviorale Konditionierungen, Indoktrinationen und mehrere Staffverträge...
Übrigens sind die Sea-Org-Sturmtruppen keine Einführung von Miscavige, sie wurden von Hubbard geschaffen, um seine Orgs, mit denen er durch die damals modernsten Telexgeräte in ständigem Kontakt stand, statistikmäßig auf Vordermann zu bringen. Sie waren schon unter Hubbard gefürchtet... Also, hier die Leseprobe:)
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Dann endlich bekam ich grünes Licht für den NED-Drogenrundown[1]. Und Lisa N.(Name geändert), eine HGC-Auditorin (und damit Kollegin - wir waren beiden Auditoren des HGC, der Elite-Abteilung der Münchner Org), war bereit, mich im "Co-Auditing" um 9 Uhr früh zu auditieren. Im Austausch dafür gab ich ihr den Grad 0 (eine der superteuren Anfangsstufen der "Brücke").
Es war eine herrliche Zeit, das NED-Auditing brachte mich oft in wunderschöne Gefühlssphären und ließ mich meine "No Money"-Situation völlig vergessen: In fast jeder Sitzung "besuchte" ich die verschiedensten "vergangenen Leben" und erkannte, warum ich in diesem Leben bestimmte Neurosen hatte.[2] Diese Gefühle hielten viel länger an als jene, die ich auf Grad 0 erlebt hatte.
Wermutstropfen waren die vielen nicht eingehaltenen Auditingtermine, weil irgendein Public Pc in Inges Terminkalender reingedrückt wurde. Danach war ich meist in irgendwelchen bescheuerten Gefühlen der Enttäuschung und der Minderwertigkeitskomplexe, weil ich wieder mal sah, dass es zweierlei Richtmaß gab: für Staffs und für Publics. Bei Staffs galt z.B. der Punkt 4 des Auditorenkodex überhaupt nicht: "Ich verspreche, alle getroffenen Auditing-Verabredungen einzuhalten." Doch jede Sitzung, die dann klappte, machte alle Enttäuschungen wett!
Und einmal, da ging in einer Auditingsitzung ein richtiger Brocken weg. Ein Brocken, von dem ich vorher gar nicht gewusst hatte, dass er überhaupt existent gewesen war. Ich ahnte irgendwie, dass ich "Clear" geworden war. Danach war das Auditing eher nichtssagend. Eine NED-Korrekturliste[3] wurde gemacht und eine der Fragen auf der Korrekturliste lautete: "Bist du Clear gegangen?" Auf Grund meiner Antwort - nämlich einem hoffnungsvollen "Ja!" - musste ich als nächsten Schritt das DCSI, das Dianetik Clear Special Intensive, bekommen.[4] Aber dieses beherrschten nur zwei Auditoren, und die waren Vollzeit mit zahlenden Pcs belegt. Deshalb stellte ich mich auf eine lange Wartezeit ein und zehrte von dem Gedanken, dass ich Clear war. Doch nach ein paar Tagen war ich so mies drauf, dass ich mich fragte, ob ich wirklich Clear war. Ich bedrängte den DofP (Leiter der Auditingabteilung), mich doch bei einem der beiden DCSI-Auditoren einzuplanen, aber der hatte Wichtigeres im Sinn, nämlich die Statistik im HGC hochzutreiben. Deshalb hatten beide DCSI-Auditoren Fulltime-Pcs, also Pcs, die teures Auditing gekauft und von 9.30 bis 22.00 Uhr zur Verfügung standen. Und als die beiden Auditoren keine Pcs hatten, da mussten sie welche auftreiben, also wieder nichts mit dem DCSI. Sie hatten eben ihre Statistik, und die musste oben bleiben. Also wartete ich und wartete und wartete. Nach ein paar Monaten hatte ich vergessen, was gute Gefühle sind... (Anmerkung: Es ist ein grober Verstoß gegen Hubbards Auditingrichtlinien, nicht gleich das DCSI zu bekommen. Aber als Staff ist man der letzte Dreck, ein Sklave, und es gilt: kein Fall [Demonstrationen von Unmut, Gefühlsschmerzen, Psychosen etc.] auf Posten!)
Im HGC hatte ich mir inzwischen als guter und verlässlicher Auditor eine gewisse Vertrauensposition erworben. (Meine Filmambitionen waren mittlerweile völlig vergessen, ich war voll und ganz in Scientology eingeschweißt.) Ich war stolz darauf, und dieser Stolz hob meist alle meine miesen Gefühle auf. Manchmal schmeichelte es mir, auch sehr schwierige Pcs zu bekommen. Natürlich artete das oft dahingehend aus, dass ich zu viele Pcs bekam und keine Stunde mehr frei hatte. Hierdurch bekam ich fast nicht mit, was in der Org ablief, außer in den kurzen Pausen, in denen ich mein Zimmer verließ, und an den Donnerstagen, an denen ab 14.00 Uhr die Statistiken nach Kopenhagen getelext wurden. An Donnerstagen wirkte jede Abteilung vor 14.00 Uhr wie ein aufgewühlter Bienenschwarm. Auch das HGC, in dem ich als Auditor tätig war: Hier wurden schon am Mittwoch alte Folders ausgekramt und nach eventuellen offenen Stunden durchsucht, und wenn vorhanden, die Pcs reingerufen und auditiert, oder ihre Folders an Auditoren verteilt, die sie FESen, also nach Fehlern durchsuchen mussten. Jede FES-Stunde wurde als halbe Auditingstunde berechnet, und manch Folder eines Pc (hier: zahlender Klient) wurde schnell mal FESed, um die 12 ½ Stunden eines Intensives[5] voll zu bekommen ("Completed Intensives" ist z.B. eine weitere wichtige Statistik der Div. 4). In Qual (Kurzform für die Qualifikationsabteilung, Div. 5) wurden Leute angehalten, ein paar Erfolgsberichte zu schreiben! Oft sprach der Qual Sec (Leiter der Div. 5) die Leute selbst an, mit Sätzen wie: "Wir sind doch in Scientology, da haben wir jeden Tag Gewinne! Wann hast du deinen letzten Erfolgsbericht aufgeschrieben?" Erfolgsberichte (Success Stories, Abkürzung: SS) sind eine der wichtigsten Statistiken dieser Abteilung. Und in der Registrarabteilung (Verkaufsabteilung, Div. 2) wurden am Mittwoch noch Leute bis in die Nacht hinein bedrängt, manchmal sogar bis 3 Uhr früh, Auditing zu kaufen.
Aus der von der Welt abgeschnittenen Position des Auditors bekam ich ebenfalls nur so nebenbei mit, dass Kopenhagen oder das RTC[6] viele "Sea-Org-Missions"[7] in unsere Organisation schickte, deren Aufgabe es war, die hemmenden, unproduktiven oder "unterdrückerischen" Elemente zu finden und sie auszuschalten, damit die Statistiken wieder nach oben schnellen konnten. Wenn diese Missions in der Org waren, verbreiteten sie Angst und Terror. (Ähnlichkeiten mit SS-Sturmtruppen rationalisierte ich weg.) Begonnen hatten diese "Sturmtruppenüberfälle" schon 1982. Aber so richtig aufgefallen waren sie mir erst 1983, als ich selbst davon betroffen war. Wie gesagt, als Auditor sitzt man täglich abgeschottet in seinem Kämmerchen und auditiert Pcs, tagaus, tagein, Woche für Woche, Monat für Monat, wie am Fließband. Man kriegt tatsächlich nicht mit, wie sich die Welt verändert, weder "drinnen" in der Organisation, noch "draußen". (So erfuhr ich erst Mitte 1983 zufällig aus einer Zeitung, nicht ohne einen gewissen Schock, dass Tennessee Williams, einer meiner Lieblingsdramatiker, irgendwann im Februar diesen Jahres gestorben war. Es wurde übrigens nicht gerne gesehen, wenn man Zeitungen las. Zeitungen verbreiten laut Hubbard nur die Unwahrheit, und sein "Reporters are a kiss of death" ist mir noch in guter Erinnerung.[8])
Ich bemerkte also diese Missions erstmals bewusst, als sie sich im HGC breitmachten und ich öfters angehalten wurde, während der Mittagspausen und nach 23 Uhr zu auditieren. Parallel dazu gab's Exekutivanweisungen von einem "Finance Dictator", der diese Sturmtruppen ausgeschickt hatte, um in Missions und Orgs "finanzielle und andere Overts" zu finden.
Fast jede Woche war eine andere Mission da. Einige widersprachen sich in Inhalten, ja es gab sogar eine Mission, die die Fehler einer vorherigen Mission bereinigte. Mehr als einmal hatte ich das Gefühl, in einem Kindergarten zu sein, wenngleich einem ziemlich gefährlichen.
Aus dieser Zeit habe ich äußerst lebendige Bilder in Erinnerung: z.B. hatte ich mal im ersten Stock zu tun. Dort befanden sich die Registrare und die Ethikabteilung. Ich suchte einen Registrar. Dabei öffnete ich die Tür zum Raum des Registrars, in dem sich inzwischen offensichtlich eine dieser Missions eingenistet hatte, die mit zwei Mann Robert K. (Name geändert), einen der besten HGC-Auditoren, am E‑Meter hart bedrängten, ihn sogar anschrien.[9] Einer der beiden, ein rothaariger Typ, brüllte mich wütend an: "Get the fuck out!" Ich war schockiert: Zwei Leute, die eine Person gleichzeitig verhörten, das war brutalste "Out-Tech"[10] und damit strengstens verboten! Und Wut war ein Indikator für restimulierte Overts (Verbrechen). Was ging hier vor? Ich schwieg. Wie alle anderen auch. Und ich sah sie alle schweigen, auch die hoch auditierten und hoch trainierten Fallüberwacher und Auditoren. Wenn sie schwiegen, dachte ich, dann konnte die Vorgehensweise der Missionaires nicht falsch sein.
Ich entsinne mich an die vielen SP-Declares (Verbannung aus der Scientology), die am Schwarzen Brett (dem "Staff Notice Board") aushingen. Sie erinnerten mich an das Dritte Reich, an Standrecht[11], an Hinrichtungen, für jeden sichtbar, als Warnung. Bei vielen der derart angeschwärzten Personen war ich extrem verwundert, weil sie mir als brave Scientologen in Erinnerung waren.
Ich erinnere mich auch gut daran, dass ich die Missionaires in ihren dunkelblauen Uniformen öfters im Lokal gleich um die Ecke sah, wo sie sich auf Kosten der Organisation, also von meinem Geld, den Bauch vollstopften, während ich mich von Haferflocken ernährte.
Ich erinnere mich auch an die verschiedenen Execs, die abgesetzt und an höhere Organisationen beordert wurden, wo sie Conditions, das DPF oder RPF[12] machen mussten.
Eine spezielle Mission habe ich besonders klar in Erinnerung: Sie wurde von einem Franzosen geleitet. Nachdem er angekommen war, setzte er erst mal die gesamte Organisation in eine der untersten Conditions - in der "normalen" Welt nennt man so etwas "Ausnahmezustand". Dann ordnete er an, dass gleich am ersten Tag nach 23 Uhr alle Türen der Org verschlossen wurden, und wir Staff bei Androhung eines SP-Declare - für einen Scientologen gleichbedeutend mit einem "Todesurteil" - gezwungen wurden, zu bleiben[13], um noch stundenlang zu schuften! Anschließend ließ er alle Staff in der Akademie versammeln und an ihnen bis drei Uhr früh (!) Sec Checks (strenge Verhöre) durchführen: Er wollte sofort den oder die Unterdrücker finden, die verantwortlich für die niedrigen Statistiken waren. Wir hatten alle Angst und kooperierten willigst. Ich war einer der Auditoren, die die Staff verhören mussten. Nun ist es in vielen Richtlinien Hubbards verankert, dass in der Nacht nicht auditiert bzw. verhört werden darf, weil da nicht mehr gewährleistet ist, dass man exakte Anzeigen bekommt. Bei Verhören, wie Sec Checks und Confessionals, ist man jedoch ganz besonders auf exakte Anzeigen angewiesen. Dieses nächtliche Verhören war also völlig "off-policy" (gegen die Richtlinien) und daher ebenfalls unterdrückerisch und strengstens verboten. Ich war fassungslos und geistig gelähmt. Zusätzlich keimte in mir eine Wut auf diesen Typen, der es wagte, meinen wichtigen Schlaf zu rauben.[14] Ich getraute mich jedoch nicht, diesen Hass zu artikulieren. Denn ich wollte doch das DCSI bekommen, wollte doch die Sicherheit haben, dass ich Clear war. Mir fiel auf, dass auch die anderen Auditoren mitmachten, obwohl auch sie wissen mussten, dass diese nächtliche Aktion gegen die Tech-Richtlinien von Hubbard verstieß. Selbst der hoch trainierte und hoch auditierte Lead C/S (Leitender Fallüberwacher) Erwin K. (Name geändert) machte mit. Wenn die mitmachen, sagte ich mir, dann gibt es sicher ein "Senior Policy", eine übergeordnete Richtlinie, die andere Policies aufhebt. Also begann ich mit den Verhören. Die meisten Staff waren nicht sitzungsfähig.[15] Bei den anderen gab's keine Anzeigen. Selbst wenn es welche gegeben hätte, ich hätte sie nicht gemeldet, so wütend war ich. Der Missionaire überwachte die Aktion. Kein Lachen, kein Lächeln, keine Freude waren zu sehen. Alles todernst. Unterdrückung überall. Während ich jeden Staff als nicht sitzungsfähig entließ, überlegte ich, was hier falsch lief. Ich war von der Statistik her noch in Affluence (zweithöchster Statistikzustand). Trotzdem war ich gezwungen, die untersten Statistiken zu machen, die immer mit Zwangsarbeit verbunden waren. Irgendetwas stimmte da nicht mit der Logik. Denn daraus konnte ich auch folgern, dass umgekehrt, wenn ich mal in einem unteren Zustand war, die Organisation aber in Power, für mich ebenfalls dieser Powerzustand gelten würde. Irgendwann brach der Missionaire das sinnlose Sec Checken ab. Vermutlich sah er ein, dass er so keine Schuldigen bekam.
Am nächsten Tag mussten wir alle wieder um 9 Uhr auf Posten sein! Der Missionaire erschien natürlich erst um 12 Uhr! Nachdem ich meinen Pc bis zum frühen Abend zu Ende auditiert hatte, natürlich mit vielen Pausen, da ich vor Müdigkeit mehrmals in Sitzung weggedöst war, musste ich mich im Call-In-Büro beim Missionaire melden. Ich wagte es, ihm meine Betrachtungen bezüglich Sec Checkens in der Nacht und bezüglich der Anwendung der Condition der Organisation auf Einzelpersonen (mit hohen Statistiken) zu erzählen! Er fragte sofort wütend, ob ich einen neuen Pc hätte, und da ich keinen hatte, musste ich wie alle anderen Auditoren Pcs beschaffen. Das kleine Call-In-Büro[16] im dritten Stock war voll mit Auditoren, die keine Pcs hatten. Als ich mich setzen wollte, um diesen dummen Job zu erledigen - ich hatte gewaltige Hemmungen, meine Pcs, die ich auf die eine oder andere Weise liebgewonnen hatte, anzurufen und ihre Knöpfe zu drücken, damit sie wieder Auditing kauften -, sprang mich der Franzose wütend an, stieß meinen Stuhl unter mir weg und sagte wörtlich: "Downstats[17] dürfen nicht sitzen!" Ich unterdrückte erneut meinen Hass, wohl auch im Hinblick auf das noch ausstehende DCSI, das ich unbedingt haben wollte. Und während ich überlegte, wen ich stehenderweise anrufen konnte, registrierte ich, wie Wilfried F. (Name geändert), einer der erfahrensten Call-Inners[18], plötzlich aufstand und sagte: "Ich bin in Confusion[19], ich gehe zu Ethik." Er stand auf und ging aus dem Raum. Einer weniger. Der Missionaire blickte böse, konnte aber nichts tun, denn Wilfried operierte nach einer Richtlinie. Ich dachte, der hat's gut, der ist vorläufig aus dem Schneider, bis der aus dieser untersten Condition heraus ist, sind garantiert wieder Pcs da. Ich blätterte gebückt stehend durch die abgegriffenen, klebrigen und stinkenden Dateikarten Wilfrieds, meinen Ekel verdrängend - Wilfried aß öfters Fastfood, während er mit fettigen Fingern seine Karteikarten durchblätterte. Wenn Wilfried, der Call-In-Profi, es nicht schaffte, wie sollte ich es schaffen? Ich war kein Call-In-Profi. Ich dachte nach, wie ich mich aus dieser feindlichen Umgebung abseilen konnte - auf keinen Fall wollte ich den ganzen Tag in gebückter Haltung Leute anrufen. Es dem Wilfried nachmachen? Das würde dem Missionaire auffallen. Plötzlich hatte ich eine tolle Idee. Mir fiel die Ex-HGC-Auditorin Lisa N. ein, meine Co-Auditorin aus weniger turbulenten Tagen, die leider vor ein paar Wochen aus irgendwelchen Gründen für immer aus Scientology ausgestiegen und danach wegen Verlassens des Postens und anderer "Schwerverbrechen" zum SP, zur Unterdrückerischen Person, erklärt worden war.[20] Da ich wissen wollte, was mit ihr los war, nützte ich diese Gelegenheit und rief sie an. Sie freute sich über meinen Anruf, sie hatte Zeit, wir trafen uns wenig später in einem nahe gelegenen Cafe - dem blöden Missionaire machte ich klar, dass ich einen Off-Lines-Pc treffen wollte. Lisa und ich sprachen ausführlich über die Vorkommnisse in der Organisation - ich mit riesigen Schuldgefühlen, denn über Out-Points[21] in Scientology darf man nur mit einem Ethik-Officer oder Auditor reden. Ich erfuhr von ihren Schwierigkeiten, die man ihr im HGC gemacht hatte, dass man sie, weil sie keinen Pc vorzuweisen hatte, in eine der niedersten Condition gezwungen hatte, aus der man sie nicht "aufsteigen" ließ; ihre 15-Stunden-Tagesabläufe bestanden aus Toiletten schrubben, Gänge bohnern, Fenster putzen und ähnlichen Zwangsarbeiten. Wir verstanden uns immer besser, wir kamen uns näher, schließlich gingen wir in den Englischen Garten, wo wir im Dunkeln hinter Büschen endlich das taten, was uns als Co-Auditing-Partner durch gewisse Regeln verboten gewesen war. Na ja, ich war ausgehungert, sie offensichtlich auch, es tat uns beiden gut...
Am nächsten Tag konnte ich, Gott sei Dank, einen Staff-Pc auftreiben und so der vergifteten Atmosphäre im Call-In-Büro entkommen...
Als dieser Missionaire mit seiner Truppe nach ein paar Wochen abzog, hinterließ er eine Org mit höchsten Statistiken - kein Wunder, jeder Staff musste noch länger als üblich schuften! Außerdem setzte er als seine Vertretung einen Auditor als DofP [siehe Glossar] ein, nämlich Tobias B. (Name geändert), dem er die Anweisung gegeben hatte, seine Befehle zu brüllen. Also brüllte Tobias von nun an seine Anweisungen. (Und das in einer Organisation, die sich als Religion bezeichnet und Kirche nennt!)
Da die Statistiken (trotz gebrüllter Befehle) sehr schnell wieder down waren, weil jeder Staff, völlig ausgepowert, nur mehr 14 bis 16 Stunden proTag arbeitete (oder arbeiten konnte), kam die nächste Mission, um die "Stats" hochzutreiben. Erst mal setzte sie das Schreien der Befehle ab und führte statt dessen tägliche Verhöre ein, in denen wir Auditoren uns gegenseitig vor 9 Uhr auf "Zeitoverts" zu überprüfen hatten. Zeitoverts sind Verstöße gegen die Regel, jede freie Minute für Scientology und die Organisation zu arbeiten. Die Fragen für diese Sec Checks waren etwa: "Hast du Zeit vergeudet? Hast du Zeit nicht richtig eingesetzt? Hast du zu lange Pausen gemacht? Hast du etwas Anderes getan als Scientology? Findest du diesen Sec Check nicht gut?" etc. Einen Roman in der Pause zu lesen war also verboten. Dennoch las ich heimlich Tai Pan von James Clavell. Die Welt des Tai Pan ließ mich meine Probleme immer wieder vergessen, wenn auch nur kurzzeitig. Und bei den täglichen Sec Checks kam dieser "Overt" Gott sei Dank nicht hoch. Ferner wurde erneut jeder Auditor, der keinen Pc hatte, in eine niedrige Condition gesetzt und gezwungen, im Call-In-Office seine ehemaligen Pcs anzurufen, ihre speziellen Knöpfe zu drücken und sie reinzuholen. Ich hatte noch einen Pc, eine ältere Frau, deren Auditingstunden zur Neige gingen. Da sie den Stress und die Unterdrückung in der Org bemerkte, brauchte ich sie nicht lange zu bitten, und sie kaufte mir zu Liebe zwei weitere Intensive, womit ich vorläufig aus dem Schneider war. Vorläufig.
(Ich hoffe, dass obiger Text, obwohl er Miscavige' Taten anprangert, eines klar durchscheinen lässt: Miscavige ist nicht das eigentliche Übel, sondern nur ein ganz normales Beispiel dafür, wohin Hubbards Tech führt.)
Das Kapitel endet schließlich mit der "Zertifizierung" des Zustands "Clear" und wie ich von da ab, permanent schlecht drauf, öfters Befehle verweigerte und welche Folgen das hatte.
[1] Dianetik-Auditing mit E-Meter. Dieser Rundown ist die superteure Endstufe des unteren Teils der "Brücke", auf der man "clear" wird.
[2] Alle Erkenntnisse im Auditing sind sehr subjektiv, sie basieren meist auf Hubbard-Daten, einige können sogar durch Erkenntnisse aus späterem Auditing als überholt oder unsinnig eingestuft werden.
[3] Wenn eine Sitzung nicht klappt, wird "repariert". Es gibt geschätzte 50 bis 70 "Korrekturlisten" für die diversen Auditingverfahren – sie sind Teil der gigantischen Korrekturmaschinerie, die Teil der Scientology ist. Für den NED gibt’s die NED-Korrekturliste.
[4] Dianetik Clear Special Intensive: Nachdem man auf dem NED angeblich "clear gegangen" ist, wird sofort das DCSI gemacht, damit man "Sicherheit bezüglich Clear" bekommt. Inzwischen heißt dieses Auditingprogramm CCRD, Clear Certainty Rundown. Zahlende Pcs erhalten es schon nach ein paar Tagen, denn der Pc soll ja möglichst schnell alle Unsicherheiten, wann und wo er Clear gegangen sein könnte, loswerden und die Gewissheit haben, Clear zu sein. Falls man das DCSI nicht sofort bekommt, können schwere psychische Störungen auftreten.
[5] Auditing wird nur in "Intensiven" verkauft, jedes Intensiv hat 12,5 Stunden.
[6] Religious Technology Center: etablierte sich in dieser Zeit als die mächtigste Institution in Scientology, an der Spitze der neue Führer David Miscavige.
[7] Nachdem Hubbard 1966 die "Sea Organization" ("Sea Org", "SO") gegründet hat, verbrachte er die meiste Zeit auf einem Schiff, der "Apollo", von wo aus er durch modernste Telexmaschinen mit allen Organisationen auf der ganzen Welt verbunden war. Erfuhr er von einer Organisation, dass sie "downstat" war, also eine fallende Statistikkurve hatte, schickte er eine "Mission" los, bestehend aus den skrupellosesten Sea-Org-Staff, die die Organisation wieder auf Vordermann bringen sollte. Seither gibt es diese "Missions" oder "Sea-Org-Missions". (Nicht zu verwechseln mit Missions oder Missionen, die kleine Organisationen sind.)
[8] Diesen Satz las ich des öfteren während meiner Staffzeit. Er ist aus der vertraulichen PR Serie 24. Im Internet zu finden unter: http://www.xs4all.nl/~johanw/CoS/hostile-contacts.txt (neu: http://tinyurl.com/9yqkgev) etc.
[9] Später wurden diese brutalen Verhöre auch als "Gang Bang Sec Checks" bekannt.
[10] Out-Tech: falsch angewendete Tech, oder die Missachtung von Tech-Vorschriften
[11] Standrecht: das im Ausnahme-, Belagerungs- oder Kriegszustand nach Maßgabe der Verfassung und der Gesetze bestehende Recht, über Verbrechen und Vergehen bestimmter Art in einem abgekürzten gerichtlichen Verfahren durch Standgerichte zu entscheiden und eine dabei verhängte Todesstrafe alsbald zu vollstrecken (aus Meyers Lexikon online). In Scientology ist das Versetzen einer Org in eine untere Condition vergleichbar mit dem Standrecht, und ein SP-Declare käme einer Hinrichtung gleich.
[12] Ein RPF (Rehabilitation Project Force ist vergleichbar mit einem chinesischen Laogai (Umerziehungslager), KZ oder Gulag. In einem RPF sollen Personen durch Zwangsarbeit und durch tägliches Niederschreiben ihrer Verbrechen ("Overts") Gelegenheit bekommen, sich als Scientologen zu "rehabilitieren". Schlafentzug. Essen im Stehen. Erzwungenes Schweigen. Fortbewegung nur im Laufschritt. Das RPF ist für Sea-Org-Staff und dauert (Aussteigerberichten zufolge) manchmal Jahre. Das DPF (Deck Project Force) ist für normale Staff, die höchstens ein oder zwei Monate festgehalten werden können (wegen ihrer "WOG"-Jobs), ansonsten ist die Härte die gleiche. Auch in einem DPF sind die Menschenrechte außer Kraft gesetzt.
[13] Das widerrechtliche Festhalten ist ein Verstoß gegen das Grundgesetz, Artikel 1, Begriff der Menschenwürde.
[14] Als Auditor muss man voll ausgeruht sein. Es gibt nichts Langweiligeres und Zäheres, als müde und übernächtigt, in der sitzenden, bewegungslosen Position des Auditors stundenlang den Problemen anderer Leute zuzuhören, sie dabei ständig anzusehen, und das bis zu acht Stunden am Tag! Mehr als einmal bin ich, überwältigt von Müdigkeit, mit offenen Augen eingeschlafen, um wenig später wieder aufzuwachen, mit der brennenden Frage: Hat es mein Pc bemerkt?
[15] Vor der eigentlichen Sitzung wird der Metabolismus getestet: Wenn man einen tiefen Atemzug macht und der Ausschlag der Nadel am E-Meter nicht die vorgeschriebene Größe ergibt, ist man nicht sitzungsfähig.
[16] Im Call-In-Büro arbeiten die Call-Inners, die Leute anrufen und sie mit Verkaufs- und Überzeugungstechniken dazu bewegen, in die Org zu kommen und Service zu kaufen oder zu nehmen. Wenn sie versagen, müssen Auditoren selbst Call-Ins machen. Von engl. "call in", reinrufen
[17] Ein Downstat ist jemand, dessen Statistik nach unten ging.
[18] Alle Call-Inners haben einen Kundenstamm von ein paar hundert Leuten, auf mehrere Karteikästen verteilt. Auf jeder Karteikarte sind die speziellen Knöpfe der Personen eingetragen. Ferner werden darauf die Anrufe vermerkt, mit Datum und Reaktion des Pcs. Obwohl Wilfried F. den größten Kundenstamm hatte, und obwohl er wirklich der beste Call-Inner war, konnte er damals keine Kunden mehr reinrufen, zu sehr waren alle Pcs und Studenten schon ausgelaugt oder überschuldet.
[19] "Verwirrung": der unterste Zustand der unteren "Conditions" (Konditionierungen). In diesem Zustand darf man nicht arbeiten, man muss schleunigst eine Conditions-Formel nach der anderen machen, um wieder produzieren zu können!
[20] Jahre später, nach meinem Ausstieg, bespitzelte sie mich im Auftrag OSAs. Mit Sicherheit war das ein Wiedergutmachungsprojekt, um vom SP-Status befreit zu werden.
[21] Out-Points: auffallende Anzeichen, die auf Dinge, die "out" sind (auf negative Situationen), hinweisen